In Frankreich werfen die kommenden Lieferverhandlungen der Agrar- und Ernährungswirtschaft mit dem Einzelhandel ihre Schatten voraus. Der Dachverband der Ernährungsindustrie (ANIA) beklagte in seiner traditionellen Pressekonferenz nach dem Ende der Sommerpause erneut den hohen Kostendruck für die Lebensmittelhersteller. Der „Inflations-Tsunami“ sei für die Unternehmen absolut kritisch, erklärte ANIA-Präsident Jean-Philippe André. Angesichts der nicht mehr zu kontrollierenden Produktionskosten sei nicht klar, wie gut die Branche durch den Winter kommen werde. Nach Verbandsangaben sind die Rohstoffkosten im Jahresverlauf um 29 % angestiegen, und Verpackungen haben sich um 26 % verteuert. Die Energiekosten legten laut ANIA um 57 % zu; ihr Anteil am Umsatz beläuft sich mittlerweile auf mehr als 5 % und beträgt bei kleineren Unternehmen fast 7 %. Kritik übten die Branchenvertreter erneut an den niedrigen Lebensmittelpreisen. Frankreich sei das einzige Land, in dem die Lebensmittelindustrie ihre Produktionskosten nicht geltend machen könne und „erstickt“ werde, so André. Nach seinen Worten wurden die Preise für Produkte von Eigenmarken des Handels seit 2008 um mehr als 15 % angehoben, während bei den heimischen Herstelllern lediglich ein Plus von 0,3 % zu beobachten sei. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Nielsen belief sich die Inflation bei Gütern des täglichen Bedarfs in Frankreich im September im Vergleich zum Vorjahresmonat auf 7,5 %; bis Jahresende sollen voraussichtlich 10 % erreicht werden. Laut Nielsen ist die Kaufkraft von 12 Millionen Haushalten geschwächt, bei einem durchschnittlichen Budget wird von einer monatlichen Mehrbelastung von derzeit 43 Euro ausgegangen. Die Verbraucher reagieren bereits. Den Marktforschern zufolge werden bei Lebensmitteln mehr Sonderangebote genutzt und verstärkt Handelsmarken gekauft, während Waren aus ökologischer Erzeugung im Regal liegen bleiben. Der Umsatz mit Bioprodukten ist laut Nielsen im Vorjahresvergleich um 5,3 % zurückgegangen, hat gegenüber 2019 allerdings immer noch um 9,2 % zugelegt.
Die Regierung appellierte derweil an die Einzelhandelsunternehmen, sämtliche Logistikstrafen für ihre Lieferanten auszusetzen, um den „beispiellosen“ Druck auf die Agrar-und Ernährungswirtschaft zu verringern. Nach Angaben des Pariser Landwirtschaftsministeriums häufen sich die Beschwerden über entsprechende Strafen der Konzerne sowie weitere unlautere Praktiken, etwa die unangemessene Anrechnung von eigenen Dienstleistungen. Seit Februar seien mehrere Zwangsgelder verhängt worden, um die gesetzlichen Vorgaben durchzusetzen. Schon Anfang September hatte das Ministerium kritisiert, dass die Handelsketten „fast systematisch“ Logistikstrafen verhängen. Im April hatten sich die Lebensmittelhandelsunternehmen mit der Agrar- und Ernährungswirtschaft vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und auch der Geflügelpest auf Nachverhandlungen bei den Lieferverträgen verständigt und dazu eine gemeinsame Charta unterzeichnet (AgE 14/22, Länderberichte 14). Die Einzelhändler hatten sich unter anderem verpflichtet, auf Logistikstrafen zu verzichten, sofern die fraglichen Störungen mit der Ukraine-Krise oder der Geflügelpest zusammenhängen. (AgE)