Der Dienstag der Grünen Woche steht in Berlin traditionell im Zeichen der Milchpolitik. Im Rahmen des Milchpolitischen Frühschoppens berichtet der Vorsitzende des Milchindustrie-Verbandes Peter Stahl über die Lage der Branche: „Wir blicken auf einen sehr volatilen Milchmarkt im Jahr 2022 zurück. Verbraucherpreise und Rohmilchpreise für die Erzeuger erreichten Rekordniveau. Der Ukrainekrieg und die Corona-Pandemie beeinflussten dabei in den letzten zwei Jahren mittelbar den Milchmarkt. Aufgrund hoher Preise griffen die Verbraucher aber zuletzt seltener zu Milchprodukten.“ Auch die Energiekrise und Einbrüche im Export stellten die heimischen Molkereien vor große Herausforderungen. Der Ausblick für die Marktentwicklung 2023 hat sich vor diesem Hintergrund etwas eingetrübt, dennoch bleibt der Verband verhalten optimistisch.
Rund 53.000 Milcherzeuger in Deutschland haben die Molkereien im vergangenen Jahr zuverlässig mit Rohmilch versorgt, fast 32 Mio. Tonnen wurden verarbeitet. Damit wurde das Niveau des Vorjahres knapp erreicht. Dabei ging die Milchanlieferung Anfang 2022 zunächst spürbar zurück. Immer mehr Auflagen und hohe Kosten machten den Milcherzeugern das Leben schwer. Dazu kamen regional fehlender Niederschlag und somit eine schlechte Futtersituation. Hohe Milchpreise haben allerdings ab Herbst die Produktion wieder steigen lassen, so dass zuletzt in Europa und weltweit genug Rohmilch zur Verfügung stand.
Für das abgelaufene Kalenderjahr 2022 rechnet die ZMB Zentrale Milchmarkt Berichterstattung GmbH mit einem vorläufigen Milchpreis von 53 Cent/kg Rohmilch (4,0 Prozent Fett, 3,4 Prozent Eiweiß). Inklusive geschätzter Nachzahlungen wird der Milchpreis daher rund 46 Prozent über dem Jahr 2021 liegen. Das vergangene Jahr endete mit Milchgeldzahlungen, die vielfach bei über 60 Cent/kg Rohmilch lagen. Dabei ist zu beachten, dass durch die Preissteigerungen bei Produktionsfaktoren wie Energie und Futtermitteln auch enorme Kostensteigerungen bei den Milcherzeugern zu verzeichnen sind. Der Kieler Rohstoffwert als Indikator für die Marktentwicklung sank hingegen im Dezember auf knapp 48 Cent/kg, weitere Preisanstiege beim Erzeugerpreis zeichnen sich daher nicht ab.
Der Umsatz der deutschen Milchindustrie lag im vergangenen Jahr bei geschätzten 35 Mrd. Euro. Allerdings haben sich die Absatzverhältnisse und die damit zusammenhängenden Aussichten deutlich verändert. Rund 50 Prozent der Milch werden in Deutschland zu Käse verarbeitet. Die Preise für Käse sind auch hier zuletzt stark angestiegen. Die Nachfrage bei den inflationsbedingt sehr preissensiblen Verbrauchern ging entsprechend zurück. Am Beispiel des Biomarktes lässt sich das Konsumentenverhalten gut ablesen: Deutsche Verbraucher verzichten zunehmend auf Bioqualität und Mehrwertprodukte selbst bei Handelsmarken, während Politiker in Berlin und Brüssel einen Biomarkt-Anteil von 30 Prozent anpeilen. Verunsicherung und Verteuerung in allen Lebensbereichen sind Gründe dafür.
Die Preise für Lebensmittel sind in den vergangenen Monaten für einige Produkte und je nach Vertragszeitraum entsprechend den Marktgegebenheiten gestiegen. Überdurchschnittlich erhöht haben sich jedoch die Kosten für die Herstellung und Verarbeitung von Milch und Milchprodukten – unabhängig davon, ob ein Unternehmen höhere Preise für sein Produkt erzielen konnte. Die Erlöse konnten die hohen Kosten häufig kaum decken. Viele Molkereien haben daher trotz des insgesamt hohen Preisniveaus rote Zahlen geschrieben. Die staatlichen Hilfsmaßnahmen im Energiebereich für Strom und Gas werden die Molkereien zudem kaum entlasten, die Bedingungen sind kompliziert und reduzieren den Empfängerkreis. Hohe Lohnforderungen und enorme Preissteigerungen im Einkauf haben die Kosten in der Verarbeitung damit zusätzlich steigen lassen.
Diese auch im internationalen Vergleich überproportional hohen Produktions- und Energiekosten sowie der schwache Euro hemmen die heimischen Molkereien im weltweiten Wettbewerb. Und das, obwohl sich auch die internationalen Milchmärkte im Jahr 2022 lange durch sehr hohe Preise ausgezeichnet und das hohe nationale Preisniveau erst mit ermöglicht haben. Kunden im In- und Ausland fragen weniger nach, die Konsumenten halten sich zurück. Neue Einbrüche im Export sind denkbar. Zentral hierbei sind die Marktentwicklungen in China, dem größten Milcherzeugnis-Importeur der Welt. Die dort zuletzt verhaltene Nachfrage könnte eine mögliche Folge der Pandemiebekämpfung in China sein. Zuletzt haben die Weltmarktpreise deutlich nachgegeben. Die wichtigen internationalen Tender haben in den letzten vier Angebotsrunden nach unten tendiert. Sollte China wieder verstärkt nachfragen, könnten die Preise wieder steigen.
Die Milchpreisentwicklung für das Jahr 2023 wird dem Markt – und damit Angebot und Nachfrage – folgen, das ist die Verbandsprognose. Der Milchpreis befindet sich aktuell auf einem historisch hohen Niveau, wird in Summe aber nicht das Ergebnis vom Vorjahr erreichen. Ungewiss ist dabei die regionale Ausprägung in Abhängigkeit der erzeugten Milchmengen sowie Vermarktungsschwerpunkten der Milchverarbeiter. Versorgungssicherheit und eine Stärkung der nationalen Erzeugung von Lebensmitteln sollten gerade in schwierigen Zeiten im Fokus von Politik und Gesellschaft stehen.