Milchbranche eingekeilt zwischen Rohstoffproblemen und hohen Kosten

Die deutsche Milchwirtschaft steckt in einer Rohstoff- und Kostenklemme. Wie der Vorsitzende des Milchindustrie-Verbandes (MIV), Peter Stahl, am 8. April am Rande des 12. Berliner Milchforums feststellte, konnten sich viele Branchenakteure noch vor wenigen Monaten nicht vorstellen, dass der Rohstoffwert der Milch die Marke von 60 Cent pro Kilogramm überschreiten würde. Stahl zufolge hat dies nicht allein mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu tun. Schon davor seien die Milchanlieferungen in erzeugerstarken Regionen zurückgegangen, was auch mit den drastisch gestiegenen Inputkosten zu tun habe. Hinzu kämen unterbrochene oder gestörte Lieferketten sowie eine starke Bevorratung industrieller Kunden. Im Ergebnis steige die Milch deutlich im Wert, so der Verbandsvorsitzende. Er wies darauf hin, dass Molkereien mit „Bulkware“, also mit geringem Verarbeitungsgrad, ihre Milchanlieferungspreise vergleichsweise zügig hätten anheben können. Anders sehe es bei den Verarbeitern mit „LEH-Ware“ aus, die wegen längerfristiger Verträge mit dem Handel steigende Kosten nicht so schnell weitergeben könnten. Diese stünden nun finanziell unter starkem Druck, konstatierte Stahl, der sich angesichts der sprunghaft steigenden Kosten für kürzere Lieferverträge in Richtung Lebensmitteleinzelhandel aussprach. Nötig wären derzeit eher Verträge für einen Monat statt der sonst üblichen sechs Monate bei „Gelber Ware“, so der MIV-Vorsitzende. Kürzere Abschlüsse sind nach seiner Darstellung auch notwendig, um über höhere Erzeugerpreise die kräftig anziehenden Kosten der Bauern für Energie, Dünger und Treibstoff auszugleichen. Laut dem Vizepräsidenten des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Karsten Schmal, liegen die Vollkosten der Rohmilcherzeugung selbst in großen Milchviehbetrieben aktuell bei mehr als 55 Cent pro Kilogramm, während der Auszahlungspreis im bundesweiten Schnitt erst rund 45 Cent/kg erreicht habe.
Schmal räumte zwar ein, dass die Milcherzeugerpreise dem allgemeinen Trend nach oben folgten. Dies gehe manchem Bauern aber zu langsam, so der Präsident des Hessischen Bauernverbandes (HBV). Schmal sieht hier die Molkereien in der Verantwortung, „die deutlich angestiegenen Erlösmöglichkeiten auch vollständig auf die Milchviehbetriebe zu bringen“. Die unzureichenden Preise sind dem DBV-Milchpräsidenten und Stahl zufolge aber nur eines der aktuellen Probleme der Wertschöpfungskette Milch. Ein weiteres sei das Wegbrechen von Warenströmen aus der Ukraine, insbesondere was gentechnikfreie Futtermittel wie Raps angehe, von dem Deutschland immerhin bis zu 3 Mio t jährlich importiert habe. Schmal und Stahl sehen deshalb eine deutliche Versorgungslücke bei gentechnikfreiem Futter auf Deutschland zukommen, zumal vollkommen unklar sei, wie viel die Ukraine in diesem Jahr ernten oder verschiffen könne. Dies würde wiederum die Erfüllung entsprechender Anforderungen des Handels in absehbarer Zeit unmöglich machen.
Schmal rief den Handel daher zu Pragmatismus bei den Lieferkriterien für gentechnikfreie Milchprodukte auf. Nach Angaben von MIV-Hauptgeschäftsführer Eckhard Heuser hat der Verband Lebensmittel Ohne Gentechnik (VLOG) als Zertifizierer solcher Futtermittel zwischenzeitlich zwar einen Kompromissvorschlag vorgelegt. Die Ausnahmegenehmigung greife aber nicht, solange Ware selbst zu horrenden Preisen noch physisch verfügbar sei. Stahl pocht daher noch im April auf eine Anschlusslösung, wie im Fall einer längerfristigen Knappheit gentechnikfreier Futtermittel verfahren werden soll. Heuser zufolge besteht hier dringender Handlungszwang, da sich Milchverarbeiter im Rahmen des Gentechnikrechts selbst bei unverschuldeten Verstößen strafbar machen könnten.
Laut Stahl steht die Verfügbarkeit aber nicht nur bei bestimmten Futtermitteln in Frage. Auch bei der Energie – allen voran der Gasversorgung – wüchsen derzeit die Sorgen, dass es ungeachtet der ohnehin schon hohen Preise zu Knappheiten oder sogar Ausfällen kommen könne. Dies hätte „katastrophale Folgen für die gesamte Kette der Milch“, warnte der MIV-Vorsitzende. Nach seiner Einschätzung würden die Lieferketten ohne Erdgas binnen drei Tagen zusammenbrechen. Selbst die Abholung der Milch wäre nicht mehr gewährleistet, verdeutlichte Stahl. Heuser zufolge versuchen einige Molkereien deshalb, ihre alten Ölbrenner wieder betriebsbereit zu machen. Er zeigte sich allerdings skeptisch, ob im Fall eines Importstopps beim Gas eine problemlose Versorgung mit Flüssigtreibstoff möglich sein werde. Vor diesem Hintergrund appellierte Stahl an die politisch Verantwortlichen, die Verarbeiter im Ernstfall auch prioritär mit Energie zu versorgen.
Stahl erneuerte zudem seine Kritik an den bisherigen Ideen des Bundeslandwirtschaftsministeriums für eine staatliche Haltungskennzeichnung, das damit nach seinem Verständnis verschiedene privatwirtschaftliche Ansätze konterkariert. Er wies darauf hin, dass die Wirtschaft beispielsweise über das Qualitätsmanagementsystem QM Milch ein tragfähiges Modell vorgelegt habe. Auch die Arbeiten an den verschiedenen Systemen, zur Erfüllung der Kriterien der Initiative Tierwohl (ITW) für „haltungsform.de“ zu erfüllen, seien abgeschlossen. Dass nun vom Agrarressort das nicht kompatible Modell der Eierkennzeichnung für Schweinefleisch und später andere tierische Produkte angestrebt werde, sei für ihn nicht nachvollziehbar, so Stahl. (AgE)

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