Kräftige Abzüge beim Milchgeld sind den Landwirten 2020 trotz der Corona-Pandemie erspart geblieben; trotzdem fürchten viele Betriebe um ihre Existenz. Woran das vor allem liegt, machte der Geschäftsführer der Landesvereinigung der Milchwirtschaft in Nordrhein-Westfalen (LV Milch), Dr. Rudolf Schmidt, bei der virtuellen Jahrespressekonferenz seiner Organisation am 13. Januar deutlich. Nach seiner Schätzung dürfte sich der durchschnittliche Milcherzeugerpreis im vergangenen Jahr für eine Milch mit 4,0 % Fett und 3,4 % Eiweiß in Nordrhein-Westfalen auf 33,3 Cent/kg belaufen haben; das wären 0,4 Cent oder 1,2 % weniger als 2019. Blicke man zurück, dann sei dies ungefähr das Niveau wie vor 20 oder 40 Jahren, erläuterte Schmidt. Gerade in den vergangenen Jahren seien jedoch immer mehr Umwelt-, Klima- oder Tierschutzauflagen zu erfüllen gewesen, und auch die Anforderungen des Handels nähmen stetig zu. „Die dadurch gestiegenen Produktionskosten finden sich jedoch nicht in den Milchpreisen wieder“, monierte der Milchexperte. Hinzu kämen Futterknappheit durch Dürrejahre und eine kritische gesellschaftliche Diskussion, was zu einem erheblichen Druck auf den Betrieben führe. Die Folge sei ein deutlicher Strukturwandel; allein im vergangenen Jahr hätten in dem Bundesland 4,0 Prozent der Milchbauern aufgegeben und die Milchkuhherde sei um 2,0 Prozent gesunken. Der westfälische Vorsitzende der LV Milch, Wilhelm Brüggemeier, betonte, dass die Milchwirtschaft ihrer Verantwortung für eine umweltbewusste und nachhaltige Produktion seit langem gerecht werde. „Doch wir können mit diesen Milchpreisen nicht überleben“, machte er klar. Die Aufwendungen für höhere Umwelt- und Tierschutzstandards müssten den Erzeugern entgolten werden; diese seien mit Milchpreisen wie vor 40 Jahren nicht zu bezahlen. Nach Einschätzung des rheinischen LV Milch-Vorsitzenden Hans Stöcker sind die Marktbedingungen zum Jahresbeginn ausgeglichen, was zunächst auf relativ stabile Milchpreise hindeute. Allerdings gebe es Risiken wie die Corona-Krise, aber auch Chancen, beispielsweise durch eine Verhaltensänderung des Handels aufgrund der Bauernproteste.
Das jüngste Verhalten des Discounters Aldi bei der Butterpreissenkung deute aber kaum auf einen Bewusstseinswandel hin, merkte Stöcker an. Obwohl der Fettmarkt auch international stabil gewesen sei, habe allein die Ankündigung von Aldi, dass die Butterpreise sinken werden, dazu geführt, dass dann auch die Kontraktpreise und Notierungen nachgegeben hätten. „Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie groß wirklich die Marktmacht ist und das die Landwirte und Molkereien Schwierigkeiten haben, dagegen anzugehen“, hob Stöcker hervor. Dieser Preisrückgang sei eher struktur- als marktbedingt gewesen. Auch Brüggemeier kritisierte das starke Ungleichgewicht der Handelspartner. Zwar habe das Bundeskartellamt 2011 in einer Sektoruntersuchung festgestellt, dass es für den Verbraucher keine schädigende Einschränkung des Wettbewerbs gebe, doch „wir können es im Jahr 2021 nicht mehr akzeptieren, wenn ein Oligopol von vier großen Lebensmitteleinzelhändlern den ganzen Markt diktiert“, betonte Brüggemeier. Während am Weltmarkt die Preise stiegen, habe der LEH mit seinem Gewicht hierzulande eine Preissenkung herbeigeredet. „Hier brauchen wir die Politik und eine Änderung des Kartellrechtes“, betonte der LV Milch-Vorsitzende. Es dürfe dabei nicht nur das Wohl der Verbraucher gesehen werden, sondern auch das Wohl in der Kette mit Produzenten und Weiterverarbeitern.
Laut LV Milch hat das Corona-Jahr 2020 am nordrhein-westfälischen Milchmarkt im Gastronomie- und Foodservicebereich Absatzeinbußen von bis zu 75 % zur Folge gehabt, die wertmäßig nicht vollständig über den Mehrabsatz im LEH ausgeglichen wurden. Das liegt auch daran, dass an Großkunden in der Außer-Haus-Verpflegung oft Spezialprodukte mit höherer Wertschöpfung verkauft werden. In den Supermärkten stiegen coronabedingt bundesweit die Verkaufszahlen an. Das galt nicht nur für Butter, Joghurt, Käse oder Quark, sondern erstmals seit längerem auch für Konsummilch. Die Landesvereinigung stellte dabei fest, dass es im Basissortiment der Trinkmilch zu einer stärkeren Preisdifferenzierung bei den Handelsketten gekommen ist. Ein erneut starkes Wachstum verzeichnete der Absatz von Biomilch, der laut Daten von Januar bis Oktober 2020 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 15,5 Prozent zulegte; bei Weidemilch waren es 17,3 Prozent. Noch stärker ging es jedoch mit den Abverkäufen von Milchimitaten nach oben, die um rund 60 Prozent auf etwa 180 Mio l stiegen und damit den Weidemilchabsatz klar überflügelten. Auch wenn einige Molkereien selbst in diesem Geschäftsbereich tätig sind, sehen das einige Vertreter kritisch. Brüggemeier wies darauf hin, dass beispielsweise Hafermilch von den Inhaltsstoffen her viel weniger werthaltig für die Ernährung sei als Kuhmilch. Zudem werde über die Milcherzeugung ansonsten kaum verwertbares Grasland genutzt und veredelt. Die neue Branchenkommunikation Milch werde sich um dieses Thema kümmern. (AgE)