Ernährungsindustrie sieht Standort Deutschland im Sinkflug

Das vergangene Jahr war für die Lebensmittelhersteller wenig zufriedenstellend, und der Standort Deutschland hat für sie spürbar an Attraktivität verloren. Laut der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) sorgten ein weiterhin hohes Preisniveau, große wirtschaftspolitische Unsicherheiten und deutlich verschlechterte Standortfaktoren für einen realen Umsatzverlust. Ersten Schätzungen zufolge erwirtschaftete die Branche im Jahr 2023 einen Gesamtumsatz von 232,7 Mrd. Euro; das waren preisbereinigt 0,9% weniger als 2022. Mit 1,0% fiel das reale Erlösminus im Inland stärker aus als im Exportgeschäft mit 0,7%. Nominal legte der Branchenumsatz 2023 nach den Berechnungen der BVE gegenüber dem Vorjahr um 6,5% zu. Das Inlandsgeschäft wuchs um 7,8% auf 151,4 Mrd. Euro, das Auslandsgeschäft um 4,1% auf 81,3 Mrd. Euro. Die Verkaufspreise im Inland stiegen dabei der Bundesvereinigung zufolge im Mittel um 8,9%, während sie im Ausland um 4,8% anzogen. Aufgrund des nominal stärkeren Wachstums des Inlandsumsatzes ging der Exportanteil von zuvor 35,8% auf 35,0% zurück.
„Die Branche stagniert“, resümierte BVE-Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff. Ein Aufschwung sei nicht in Sicht. „Im Gegenteil: Die Herausforderungen durch Krisen und eine übermotivierte Politik zehren an der Substanz“, stellte Minhoff fest. Die Branche leidet ihm zufolge unter einem dauerhaft hohen Kostenniveau, neuen zusätzlichen politischen Regularien und einer geringen wirtschaftspolitischen Planungssicherheit. Dementsprechend bewerteten die Lebensmittelhersteller die Entwicklung des Standorts Deutschlands äußerst kritisch, berichtete der Hauptgeschäftsführer. Eine aktuelle Umfrage der BVE unter 160 Unternehmen zeigt, dass die Attraktivität von Deutschland als Wirtschaftsstandort rapide abnimmt. Nur 3% gaben an, dass sich für ihr Unternehmen der Standort Deutschland in den letzten fünf Jahren verbessert hat. Für 83% haben sich die Standortfaktoren hingegen leicht oder sogar deutlich verschlechtert.
Wie die BVE weiter ausführte, schlägt sich diese Entwicklung negativ auf die Investitionspläne der Unternehmen nieder. Nur noch 10% planen, ihre Investitionen in Deutschland zu erhöhen, während 43% diese reduzieren wollen und 6% eine vollständige Einstellung der Investitionen am deutschen Standort in Betracht ziehen. Bei den Auslandsinvestitionen gaben sich die Befragten der Ernährungsindustrie deutlich optimistischer. 35% beabsichtigen, ihre Investitionen im Ausland in den nächsten zwei bis drei Jahren zu steigern. Dem stehen 16% gegenüber, die dort eine Reduzierung planen, und 4%, die eine komplette Einstellung erwägen. In Deutschland fokussieren sich die Lebensmittelhersteller laut BVE weniger auf Kapazitätserweiterungen, sondern mehr auf Rationalisierungen sowie Umstrukturierungen. Dies sei ein klares Zeichen für den Rückgang am Standort.
Mit Blick auf die Bauernproteste betonte Minhoff, dass die deutsche Ernährungsindustrie rund 80% der von den Landwirten erzeugten Rohprodukte verarbeite. Deshalb sei eine funktionsfähige Landwirtschaft auch elementar für die heimischen Lebensmittelhersteller. Der BVE-Hauptgeschäftsführer unterstrich, die Branche wolle eine Selbstversorgung sowie kurze und verlässliche Lieferketten. Zudem betonte er die hohe Qualität deutscher Agrarprodukte. Aber nicht nur die Landwirtschaft sei für die verlässliche Versorgung mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln verantwortlich, stellte Minhoff klar. Jede der Wertschöpfungsstufen verdiene Respekt. Auch Mitarbeiter der Milch-, Fleisch- und Backindustrie arbeiteten hart und rund um die Uhr, ebenso die Kassiererin, der Filialleiter, der Metzger an der Fleischtheke und auch die Mitarbeitenden im Einzelhandel. (AgE)

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