Die EU-Kommission hat den tatsächlichen Hilfsbedarf der Milcherzeuger nach dem von Russland verhängten Importverbot für Milchprodukte und den daraus resultierenden Verwerfungen auf dem europäischen Milchmarkt im Zeitraum 2014 bis 2016 nicht ausreichend bewertet. Dieses Fazit findet sich in einem am 24. Juni vom Europäischen Rechnungshof (EuRH) in Luxemburg veröffentlichter Bericht. Viele der damals getroffenen Maßnahmen seien nicht gezielt genug ausgestaltet worden, heißt es darin. Allerdings stellen die Rechnungsprüfer auch fest, dass Hilfsmaßnahmen damals grundsätzlich gerechtfertigt gewesen seien, um den Landwirten angesichts der Marktverwerfungen unter die Arme zu greifen. Des Weiteren bescheinigt der Luxemburger Hof der Kommission, dass sie rasch auf das russische Importverbot reagiert habe. Auf der Grundlage einer Schätzung der Mengen der entgangenen Exporte von Butter, Käse und anderen Milchprodukten habe diese bereits Ende 2014 den damals am stärksten betroffenen Ländern – allen voran den baltischen Staaten sowie Finnland – ein erstes Paket von Sonderbeihilfen gewährt. Der EuRH kritisiert andererseits aber, dass die Kommission zu viel Zeit habe verstreichen lassen, bis effektiv etwas gegen die Marktungleichgewichte unternommen worden sei. Zwar habe die EU-Behörde für die gesamte Gemeinschaft 390 Mio Euro als Anreiz für eine freiwillige Drosselung der Milchproduktion bereitgestellt. Bevor diese Beihilfemaßnahmen in Kraft getreten seien, hätten jedoch viele Landwirte als Reaktion auf das damals historisch niedrige Preisniveau ihre Milchproduktion bereits reduziert.
Für bedenklich hält es der Rechnungshof, dass trotz der Direktzahlungen, deren Anteil am Einkommen von Milchproduzenten in den Jahren 2015 und 2016 rund 35 % erreichte, ein plötzlicher Preissturz bei den Betrieben zu Liquiditätsproblemen geführt habe. Der Kommission wird vorgeworfen, das Ausmaß dieser Liquiditätsprobleme nicht hinreichend bewertet zu haben. Auch hätte nicht der tatsächliche Finanzbedarf der Milchproduzenten, sondern vielmehr die Höhe der verfügbaren Mittel bei der Zahlungsbemessung eine große Rolle gespielt. Ins Gericht geht der Luxemburger Hof aber auch mit den Mitgliedstaaten. Diese hätten auf einfach umzusetzende Sonderstützmaßnahmen und eine breite Vergabe der Mittel gedrängt. Auf eine adäquate Ausrichtung der Beihilfen sei dagegen wenig Wert gelegt worden.
Laut EU-Rechnungshof hatten die Landwirte in den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende in einigen Mitgliedstaaten ihre Milchproduktion erheblich gesteigert. Ziel sei es gewesen, von den damals vorherrschenden höheren Preisen zu profitieren, die Anfang 2014 einen Spitzenwert erreicht hätten. Im August 2014 habe Russland dann beschlossen, als Reaktion auf die von der EU wegen des Ukraine-Konflikts verhängten Sanktionen, einen Importstopp für Milchprodukte aus der Gemeinschaft zu verhängen. Gleichzeitig seien die EU-Exporte nach China zurückgegangen. Insgesamt, so die Prüfer, habe dies im Milchmarkt bis Mitte 2016 zu einem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage geführt. Ferner hebt der Rechnungshof hervor, dass die Kommission zum Zeitpunkt der Verwerfungen auf dem Milchmarkt erwogen habe, die Krisenreserve aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zur Finanzierung der außergewöhnlichen Maßnahmen für die Jahre 2014 bis 2016 zu finanzieren. Dass es hierzu letztlich nicht gekommen sei, habe auch damit zu tun, dass ein Einsatz bisher nicht besonders flexibel möglich sei. Lobend erwähnen die Luxemburger Rechnungsprüfer, dass die Kommission daraufhin für die anstehende GAP-Reform eine flexiblere Handhabung der Krisenreserve vorgeschlagen habe. Kritisiert wird ferner, dass die Brüsseler Beamten die Wirkung der von den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichend analysiert hätten, obwohl dies für die Vorbereitung auf künftige Störungen des Marktes „sehr hilfreich“ sein könne. (AgE)